Die karolingische Bildungsreform

06.09.2019 Carolin Steimer

Brief Karls des Großen an Papst Leo III. in karolingischer Minuskel, 796, zeitgenössische Abschrift. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 808. fol. 205v. – 207v. (Foto: LWL/Frerichs)

Im Zeichen der Bildungsreform Karls des Großen - Teil 3

Während der Herrschaft Karls des Großen gab es einen, auch unter dem Namen der „karolingischen Renaissance“ bekannt gewordenen, kulturellen Aufschwung, der sich in der Kunst, der Architektur, aber allen voran auch in der Bildung bemerkbar machte. Der Initiator dieser Reformen war Karl selbst, der Zeit seines Lebens weder lesen noch schreiben konnte, doch um dem Vorhaben einer umfassenden Bildungsreform gerecht werden zu können, versammelte er eine Vielzahl von Gelehrten aus ganz Europa an seinem Hof. Unter ihnen z.B. der Westgote Theodulf von Orleans, der Langobarde Paulus Diaconus, sowie der Angelsache und Mönch Alkuin, der auch der „geistige Vater“ der Reform genannt wurde. Die Hauptfrage, der wir uns an dieser Stelle zuwenden wollen, ist: Was wollte Karl mit seiner Bildungsreform erreichen? Kehren wir zurück in das 9. Jahrhundert.

Als geistiges Zentrum der Reform galt die um 871 gegründete Aachener Domschule. Die als „Hofakademie“ bekannt gewordene Schule entwickelte sich zur Mustereinrichtung ihrer Zeit. Bildung bekam eine neue Bedeutung. Der illiteratus – jemand der des Lesens und Schreibens nicht mächtig war –war bis zu diesem Zeitpunkt ein wertneutraler Begriff. Schließlich traf er auch auf die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zu. Im Zuge der Bildungsreform bekam er allerdings bereits eine negativ besetzte Bedeutung: „Ich lebe als Esel, weil ich nicht schreiben kann“ lautete die Randnotiz eines unbekannten Urhebers. Auch wenn der Urheber dieses Satzes des Schreibens offenbar sehr wohl mächtig war, zeigt sich hier doch in der Selbstkritik der Stellenwert, den Bildung und Schreibkunst jetzt einnahmen. Doch die Laienbildung, wie man die Bildung des Volkes auch nannte, spielte noch keine Rolle. Ziel war die Entwicklung eines Programms für die Sammlung, Pflege und Standardisierung der Bildung des Klerus sowie Verbreitung religiöser Inhalte. Errata corrigere (Fehler berichtigen), superflua abscindere (Überflüssiges entfernen) und recta cohartare (Richtiges fördern) waren die wichtigsten Stichwörter im Umgang mit Texten antiker Autoren und christlicher Literatur. Zum Beispiel kommentierte der Theologe Hrabanus Maurus im Zuge dieser Bestrebungen nahezu alle Bücher der Bibel. Die Bildung des Klerus sollte vor allem einer einheitlichen Struktur innerhalb der Kirche und deren Gottesdiensten dienen, sowie den Priestern ein profunderes christliches Weltbild vermitteln. 

Es mag in einem christlichen Kontext ein wenig verwunderlich anmuten, dass antike Literatur kopiert und gesammelt wurde, galt sie schließlich als pagane, also heidnische Literatur. Aber um sie dennoch für sich nutzen zu können, wurde sie zu einem Großteil christlich umgedeutet. Theodulf von Orleans formulierte es so: „Wenn auch in ihren Worten viel Nichtsnutziges aufscheint, noch mehr ist an Wahrheit unter dem täuschenden Kleide verborgen.“ So wurden beispielsweise die septem artes liberales, die zweifellos als „heidnisches“ Wissen zählten, dennoch von Karl zur Bildung der Kleriker empfohlen. Hierbei handelte es sich um die 7 wichtigsten Studienfächer der Antike, die in zwei Bereiche aufgeteilt wurden:

Trivium (sprachlich-logischer Bereich)

  • Grammatik
  • Rhetorik
  • Logik

 

Quadrivium (mathematischer Bereich)

  • Arithmetik
  • Geometrie
  • Musik
  • Astronomie

Die meisten Mönche die im Lesen und Schreiben ausgebildet waren, gingen einer reinen Kopiertätigkeit nach. In den karolingischen Skriptorien – extra eingerichtete Schreibstuben – schrieben sie in mühevoller Arbeit Texte ab (mehr zu diesem Thema findet ihr im Blogartikel „Schreiben im frühen Mittelalter“). Zwar korrigierten sie Fehler, fügten Marginalien ein oder änderten sogar den Text nach ihren Vorstellungen, aber Urheber waren sie meist nicht. Dennoch war ihre Arbeit von großer Bedeutung, schließlich musste vorhandenes und neu erworbenes Wissen gesichert und erhalten werden. Die Arbeit reichte von Prachtbibeln (z.B. die Alkuin-Bibel), über Evangeliare (z.B: das Lorscher Evangeliar) bis hin zu einfachen Kapitularien (Gesetze und Verordnungen) und den Unterricht erleichternden Texten. Noch im 9. Jahrhundert bildeten sich große Bibliotheken aus, die im Kampf für die christliche Bildung und Missionierung eine unersetzbare Waffe waren – eine zugegebenermaßen martialische Ausdrucksweise, aber nicht umsonst nannte man die Bibliotheken zu jener Zeit auch armamentarium (Waffenschrank). Der Unterrichtung junger Mönche konnte durch die Bibliotheken wesentlich effizienter vonstattengehen, als es noch in der vorkarolingischen Zeit der Fall war. Mit extra für den Unterricht vorgesehenen Räumen begann sich eine neue Art der Schule auszubilden.  Was dort gelesen und gelernt wurde, war vornehmlich christlicher Natur. Der Lektürekanon sah z.B. Texte wie das "Osterlied" des Sedulius, die fünf Bücher „Über die Ereignisse der geistlichen Geschichte“ von Alcimus Avitus und die „Psychomachia des Prudetius vor. Auch antike Dichter wie Ovid, Homer und Horaz fanden ihre Anwendung, allerdings immer unter den oben genannten Gesichtspunkten des christlichen Nutzens, der sich aus ihnen ziehen ließ. Und auch unser heutiges umfassendes Wissen über die antiken lateinischen und christlichen Literaturen verdanken wir der akribischen Arbeit der karolingischen Reform gewertet werden.

 

Fabian Frerichs