Mittelalter begreifbar

08.06.2018 Carolin Steimer

Bartholomäuskapelle als Modell. Foto: LWL/Anna-Lisa Ewers

Unser Programm für blinde und sehende Besucher

Am 6. Juni  2018 fand bei uns im Museum, wie in mehr als 60 anderen Museen in Deutschland anlässlich des Sehbehindertentages 2018, eine speziell auf die Bedürfnisse blinder und sehbehinderter Besucher abgestimmte Führung durch das Museum statt.

Die Veranstaltungen wurden in Kooperation des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverein mit dem Deutschen Museumsbund initiiert. Inklusion ist ein Schlagwort, das längst fest im Wortschatz von Museen verankert ist – und nicht nur dort.

Und weil auch die Umsetzung des Inklusionsgedankens nicht nur am 6. Juni stattfindet, gibt es im Museum in der Kaiserpfalz die jederzeit buchbare Führung „Mittelalter begreifbar“, die blinde und sehende Besucher gleichermaßen anspricht.

Ertasten der Balkenlöcher in der Pfalz. Foto: LWL/Anna-Lisa Ewers

So war es dann auch: Eine Gruppe von 25 sehbehinderten Besuchern mit Begleitpersonen interessierte die auch am vergangenen Mittwoch angebotene Führung „Mittelalter begreifbar“, aber hatte für den Sehbehindertentag schon andere Pläne. Kurzerhand meldeten sie sich für den Vortag zu eben dieser Führung an. Macht ja nix!

Ich begleitete die Gruppe und fotodokumentierte sie mit ihrem Einverständnis. Für mich war diese Art der Führung durch eine Ausstellung in einem Museum das erste Mal. „Mittelalter begreifbar“ ist unbedingt wortwörtlich zu verstehen, soviel verrate ich vorab!

Während des gesamten Weges durch die Ausstellung lag das Ertasten von Objekten, das Riechen und das Hören, beispielsweise des besonderen Klanges in der Bartholomäuskapelle, im Fokus. Einige Besucher berichteten mir im Gespräch, dass sie schon in anderen Museen ähnliche Angebote wahrgenommen haben und sie sich sehr freuen, dass immer häufiger Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen im Kulturbereich gemacht werden.

Aufgrund der Gruppengröße teilten die Gästeführer die Teilnehmenden in drei Kleingruppen ein, sodass jeder Einzelne genügend Zeit bekommen konnte, alle Tastobjekte einmal in Händen zu halten und Fragen stellen zu können.

Ich empfand die Atmosphäre zwischen Teilnehmenden und Gästeführern als sehr angenehm und harmonisch.  Die Führungen kennzeichneten sich durch starkes Interesse der Besucher, vielen Nachfragen, „Ah´s“ und „Oh´s“ und den ein oder anderen Lacher.

Eines der Highlights der Führung war der Besuch in der Bartholomäuskapelle. Aufgrund ihrer unverwechselbaren Bauweise besitzt sie eine ganz besondere Akustik, die wohl aus einem Zusammenspiel der kugelförmigen Hängekuppeln, die in ganz Westfalen einmalig sind, mit den Fensternischen entsteht. Die Architektur der Kapelle wurde zuvor von den Besuchern anhand eines Tastmodells erfühlt, sodass sie sich besser vorstellen konnten, in welcher Art Gebäude sie sich anschließend befinden.

In der Kapelle selbst ertasteten die Teilnehmenden die bis zum Boden reichenden Fensternischen. Sie gingen anschließend auch die Raumbreite und -länge ab und nahmen so den Raum gut wahr. Um die Akustik dann selbst auszutesten, ließen die Gästeführer ihre Stimmen erklingen und animierten zum Mitsingen. Die Gruppen waren alle durchweg begeistert von dem, was sie da hörten, nicht zuletzt, weil einige der Gästeführer durchaus Hörenswertes darboten. Der Nachhall in dem Raum beträgt etwa 7 Sekunden. Durch diese Besonderheit ist die Bartholomäuskapelle bei Musikern und Hobbysängern beliebt.

Während der etwa zweistündigen Führung durften die Besucher außerdem Pfalzmodelle, Essgeschirr, Stoffe, Schilde und Kettenhemden, Wachstafeln und Schreibwerkzeug mit den Händen ertasten.

Replik der Grabplatte Bischof Meinwerks. Foto: LWL/Anna-Lisa Ewers

Am Ende der Führung waren alle sehr zufrieden und hatten sichtlich Freude an dem Rundgang. Auch für mich als nicht beeinträchtigter Mensch waren die Führungen eine ganz besondere Erfahrung, da ich einmal versucht habe, mich beim Tasten nur auf diesen Sinn, beim Hören nur auf das reine Hören zu konzentrieren, was wirklich nicht so leicht war. Doch es hat dazu geführt, meine Sinne einzeln einmal etwas intensiver wahrzunehmen.

Dieses Angebot ist ein weiterer Schritt hin zu einem vielseitigeren Spektrum an Möglichkeiten Sehbehinderter, am kulturellen Leben aktiv teilzunehmen.

 

Anna-Lisa Ewers